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Deus ex machinaKoevolution
 
Artikel 8 von 44
KommDesign.de — Galerie — schlechte Kommunikation

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In einer Hinsicht ist die gute alte Wirklichkeit dem Web voraus: Es gibt die Briefkasten-Aufkleber "keine Werbung oder kostenlosen Zeitungen einwerfen". Wer es dann doch tut (das Einwerfen), kann dingfest gemacht werden. Ich habe vergeblich versucht, solche Schilder an meinen E-Mail Postfächern anzubringen. Und so erhalte ich sie fast täglich, die ungebetenen Schnäppchen-Mails, die schlüpfrigen Webcam-Einladungen ("Hey Du..."), die unsäglichen werde-GARANTIERT-Millionär-ich-bis-es-schon-Mails (und-frage-mich-bitte-nicht-warum-ich-es-trotzdem-nötig-habe-so-idiotisches-Zeug-zu-schreiben) und all die anderen, die aufzuzählen sich meine Tatatur sträubt. Wer eine Adresse bei einem großen Provider hat, bleibt von dem Zeug ja einigermaßen verschont, doch Gnade Gott, wenn man eine eigene Domain betreibt, die den E-Mail-Robots hilflos ausgeliefert ist. Dieser Artikel ist als Teil der psychischen Bewältigung dieses Problems zu verstehen. Mein Therapeut meinte, es könne mir gut tun, darüber zu schreiben. Das Thema passt auch vorzüglich in die Rubrik schlechte Internet-Kommunikation, denn ich könnte mir kaum etwas schlechteres vorstellen, als die Nachricht "Hallo, guten Tag, ich bin eine Schmeißfliege, Du darfst mich jetzt totschlagen" millionenfach zu kopieren und weltweit zu verteilen.

Man liest gelegentlich davon, dass das Internet den sozialen Beziehungen seiner Benutzer in der Realität eher abträglich sei. Der Internet-Nutzer ist eine blasse, lichtscheue Erscheinung, die nicht nur die Körperpflege, sondern auch soziale Beziehungen sträflich vernachlässigt - ganz zu schweigen von den verheerenden Auswirkungen auf die Ernährung und Zahnhygiene. Ich möchte dies hier einmal aus eigener Erfahrung und in aller Deutlichkeit richtigstellen: das genaue Gegenteil ist der Fall! Seit ich Internet-Nutzer bin, habe ich viele neue Freunde gewonnen, sowohl privat als auch geschäftlich. Das Netz ist ein Schmelztiegel, ein nimmermehr versiegender Born der Kontakte, sie entstehen wie von selbst. Ein Blick in meine E-Mail-Ordner genügt, um die Behauptungen dieser blassen und lichtscheuen Soziologen zu widerlegen.

Da ist zum Beispiel missy78936@yahoo.com, die sich rührend um mein Äußeres sorgt. "Want to feel more attractive?" schreibt sie mir, und stellt gleich verschiedene nützliche Dinge in Aussicht:



Missy kennt anscheinend meine geheimen Phantasien. All das habe ich mir nämlich schon immer brennend gewünscht. Die Aussicht auf ein Kombipaket aus gesteigertem Selbstbewusstein nebst Augenkontakt mit paarungsbereit lächelnden gegengeschlechtlichen Mitmenschen lässt meine Maus sofort instinktiv auf die Aufforderung zusteuern: "CLICK HERE FOR MORE DETAILS"....

Im letzten Augenblick kann ich dann jedoch noch widerstehen, denn ich überlege mir, dass Missy meine E-Mail Adresse möglicherweise an Crissy, Lissy, Bessy, Kessy und Jessy weitergibt, oder - noch schlimmer - an akwMary Georgopoulos. Sie kennen die alte akwMary nicht? Sie ist die Dame, die sich darum kümmert, dass meine vielen neuen Freunde den Kontakt mit mir finden. Ich stelle mir akwMary als streitbare, rüstige Greisin vor, die eine abgesägte Schrotflinte unter der Decke Ihres Rollstuhls verbirgt.

 
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Allerdings wäre ich schon neugierig, wie sich die wundersame Verwandlung, die mir Missy in Aussicht gestellt hat, vollziehen soll. Es müsste mindestens ein Cocktail aus Sonnenbank, Body Building, Typberatung, Rhetorik-Training und asiatischer Kampfkunst mit integriertem Selbstbehauptungstraining sein - und vielleicht einer plastisch-chirurgischen Optimierung meiner Physionomie?

Einige Tage später klärt mich meine neue Freundin melissa8899@juno.com dann darüber auf, wie Missys Erfolgsrezept funktioniert. Es handelt sich um.... Pheromone! Wenn ich mich recht entsinne, sind das biologische Lockstoffe, die bewirken, dass beispielsweise ein Nachtfalter über Kilometer zu einer paarungswillig lächelnden Nachtfalterin findet (oder in die heimtückisch lächelnde Bio-Falle). Ich bin allerdings, ehrlich gesagt, nicht sicher, ob es wirklich so nötig habe, denn mein Erfolg bei den Damen hat in der letzten Zeit doch beachtlich zugenommen. Ich sage das nicht ohne einen gewissen Stolz. Und das ging ganz natürlich, ohne Chemie, wie von selbst. Da gibt es beispielsweise meine neue Freundin jasmina21@gmx.net:

 

Sie schreibt mir eine Mail, um sich bei mir dafür zu bedanken, dass ich Ihr den rettenden Hinweis auf die Kontaktbörse gegeben habe. Nun könne sie ihre sexuellen Phantasien ausleben - endlich! Ihre entfesselten Phantasien fördern ihre Dankbarkeit anscheinend so nachhaltig, dass sie mir diese Mail gleich an zwei Tagen in vierfacher Ausfertigung sendet. Nun verfüge ich zwar über eine andere E-Mail, in der mir erklärt wird, es sei nunmehr gelungen, einen passenden Partner für mich in einer Datenbank zu finden (wenn ich mich recht erinnere, war sie von meinem Freund videokontakte8814s15@mail.com). Ich kann mich jedoch nicht erinnern, diese an jasmina21 weitergeleitet zu haben. Aber trotz dieser kleinen Erinnerungslücke ist es mir eine Genugtuung, dass es ihr und ihren Phantasien nun bald besser gehen wird.

Dem Anschein nach hat sie den heißen Kontakt-Tipp auch gleich weiter verbreitet, denn isabel@69.com und stefanie17@freenet.de bedanken sich aus dem gleichen Anlass ebenfalls auf herzlichste bei mir. Allerdings tun sie dies nicht, ohne mich zu bitten, einmal nachzusehen, ob ihr Eintrag denn auch "OK" sei - das entsprechende Link ist praktischerweise gleich beigelegt. Ich möchte der Bitte spontan nachkommen, doch dann packen mich wieder Zweifel. Vielleicht fängt sich mein Rechner bei Stefanie eine besonders widerstandsfähige Variante der digitalen Gonorrhoe ein? Oder Isabel versucht, mich vermittels eines selbstzündenden 0190-Dialers eben mal rasch für einen halben Monatsumsatz ins Netz einzuwählen? Nein, da ist man mittlerweile doch misstrauisch geworden.

 
 
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Einige meiner neuen Freunde sind sogar richtige Possenreißer, denn sie verbergen ihre Nachrichten hinter Absendern und Betreffzeilen, die so aussehen, als seien sie höllisch ernst, um mir dann lustige Offerten zu machen - so eine Art Mail-Scherzartikel. Beispielsweise signalisiert der Absender "Beschwerde" mit dem Betreff "Beschwerde"...

...seine selbstlose Bereitschaft, mir reichlich Frohsinn und Kurzweil zu bereiten. Er meint, das sei ganz einfach, wenn ich ihm gestatte, mir vermittels einer neuen Version eines Produkts, das den vertrauenerweckenden Namen "Crackdialer" trägt, in über 251.000 ("ILLEGALE") Live Sex-Kanäle hineinzuverhelfen. 251.000 Sex-Kanäle! Wenn man sich für Live-Sex-Kanäle interessiert, wären das in einem Jahr immerhin 687 Stück am Tag, ohne eine einzige Wiederholung. Wirklich verlockend... Aber "ILLEGAL"? Nein, da hat sich Beschwerde, dessen wahre Identität sich übrigens als "2000girl@firemail.de" herausstellt, getäuscht. Ich bin ein gesetzestreuer Mensch, und meine Vorstellungen davon, was ein "Live Sex-Kanal" überhaupt ist, werden sich also weiterhin im Reich der Phantasie bewegen. Aber trotzdem: ein nettes Angebot war es schon.

Genauso wie diese:

 

...die sich unter meinen erstaunten Augen jeweils in das gleiche "Lucky Casino" verwandeln und mir obendrein 70 Gratis-Euros als Einstiegsdosis in die Karriere als Online-Gambler zum Geschenk machen wollen. Ich habe herzlich gelacht. Und ich muss die Adresse unbedingt an einen Bekannten weiterleiten, der gerade seine Spielsucht in den Griff bekommen hat. Mal sehen wie es um seine Widerstandskraft so bestellt ist...



 

Auch meine geschäftlichen Perspektiven haben sich durch meine neuen Freunde enorm belebt. Immer wieder bieten Sie mir Möglichkeiten, ein echter Global Player zu werden, wobei die Begriffe URGENT! NOW! und FREE! eine wichtige Rolle spielen. Meist gibt es gleich bündelweise Bares, einfach so - steuerfrei, versteht sich. Wenn unser Finanzminister seine E-Mail selbst lesen würde...

Die Top-Chance kam jüngst, wie so oft, aus einer Richtung, aus der ich es nicht erwartet hätte. Mein neuer Freund Francis...

 

...machte mir ein Angebot, auf das ich nach reiflicher Überlegung wohl einsteigen werde. Francis ist ein sehr höflicher Mensch, dem ich von der "Chamber of Commerce" in Nigeria als vertrauenswürdiger Partner empfohlen wurde (ich sagte doch: Global Player!). Er erklärt mir, ich könne gerne 5% der 25,5 Millionen Dollar abhaben, die sein kürzlich verstorbener Vater - der wohl so eine Art Ölmagnat war - auf irgendwelchen Konten vergraben habe. Was ich dafür tun muss, ist mir noch nicht ganz klar, Francis meint, ich solle zunächst einmal antworten, um meine Bereitschaft zur Kooperation zu signalisieren. Danach werde man weitersehen, schreibt Francis, und beschwört den Segen des Herrn auf mich herab. Wirklich ein feiner Mensch. Also: falls Sie in Kürze gar nichts mehr von mir hören, liegt es daran, dass aus der Nigeria-Connection etwas geworden ist.

Epilog:

Um meinen neuen Freunden angemessen antworten zu können, habe Ich mir jetzt einen Restposten Barbie-Puppen, besonders lange und spitze Schaschlik-Spieße und den Einführungsband "Woodoo für Heimwerker" gekauft. Die ersten Experimente verliefen vielversprechend, aber ich bin mir noch nicht ganz darüber im klaren, wie man so etwas als E-Mail senden könnte. Vielleicht als Datei-Anhang? Immerhin habe ich schon eine lustige Idee für die Gestaltung:

 
 
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© Dr. Thomas Wirth Kommunikationsdesign - eMail: thomas.wirth@kommdesign.de
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